Fremdsprachen-Akzent-Syndrom
Karen Butler weiß es nicht. Karen Butler ist 56, Amerikanerin aus Toledo in Oregon. Vor einiger Zeit musste sie sich die Zähne richten lassen. Sie bekam Prothesen, neue Zahnprothesen. Und als sie aus der Operation wieder erwachte, nun, sie spricht amerikanisch mit britisch Akzent. Sie weiß nicht warum. Sie war niemals war in Europa. In Toledo/Oregon sagen die Leute, Karen spreche mit osteuropäischem oder schwedischem Akzent. Niemand weiß, was passiert ist. Das mit der Sprachverwirrung kann natürlich auch daran liegen, dass man in Toledo/Oregon vielleicht nicht so viel über Europa weiß und dort Osteuropa, Schweden und England eh alles eins ist.
Dr. Helmi Lutsep, ein Neurologe aus Oregon mit möglicherweise finnischer Herkunft und Akzent, vermutet, dass sich das Sprachzentrum von Karen Butler bei der Narkose zur Zahnoperation verlagert haben könnte. Möglicherweise, vielleicht, wurzele ihre obere Zahnreihe besonders tief, respektive hoch, bis kurz unterhalb der Großhirnrinde; da wo Putamen und Nucleus caudatus zu Hause sind, und wo sich dem jüngsten Forschungsinteresse nach unsere Sprachfähigkeit bildet.
Karen Butlers Phänomen kann natürlich auch ganz andere Ursachen haben. Auch denkbar, dass die Implantate, die ihr eingesetzt wurden, aus englischer Produktion sind und sie deshalb diesen komischen Akzent hat. Umgekehrt soll es auch eine Engländerin geben, die nach einer Migräne spricht, als sei sie chinesischer Herkunft. Das spricht gegen die Zahnfüllungstheorie, wie auch gegen die mit den überlangen Zahnwurzeln.
Weiterhin bleibt das Rätsel, warum Migräne einen chinesischen Akzent auslösen kann. Und wenn: welchen, Kantonesisch, Mandarin? Oder hatte die Migränefrau schon in einem früheren Leben Migräne? Und war Miss Butler ein Butler in old England und kannte Shakespeare? Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als eure Schulweisheit sich erträumt.
Quelle: Helmut Schümann, "Potsdamer neueste Nachrichten", 08.06.2011 (Grammatik korrigiert: Michael Aufhörer)